Das ehemalige Gerichtsgefängnis Hannover 1933 - 1945

III. Im Gerichtsgefängnis:
6 Jahre Einzelhaft für Ernst Thälmann

Der prominenteste Häftling, der während des "Dritten Reiches" im hannoverschen Gerichtsgefängnis einsitzen mußte, war der Vorsitzende der 1933 verbotenen KPD, Ernst Thälmann.

Nachdem Thälmann bereits im März 1933 in Berlin verhaftet worden war, folgten Verhöre und Folterungen in der Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße und vier Jahre Isolationshaft im Gefängnis Moabit. (1)

Am 13. August 1937 erfolgte seine Verlegung nach Hannover. Nachdem es immer wieder zu internationalen Aufrufen und Kampagnen für eine Freilassung von Ernst Thälmann gekommen war und auch ein Befreiungsversuch stattgefunden hatte, schien es der Gestapo an der Zeit, Thälmann aus dem Zentrum des Deutschen Reiches - Berlin - zu verlegen.

Es war den Nazis nicht gelungen, irgendeine den KPD-Vorsitzenden belastende Aussage von ihm zu erpressen. Auch vor dem Hintergrund des gescheiterten Reichstagsbrandprozesses, in dem der bulgarische Kommunist Dimitroff mit zwei weiteren Genossen freigesprochen werden mußte, ließen sie ihren Plan eines großangelegten Schauprozesses fallen.

Mit dieser Verlegung nach Hannover hoffte man außerdem, den Kontakt Thälmanns zu seinen politischen Freunden gänzlich unterbinden zu können und einem erneuten Befreiungsversuch vorzubeugen, denn das Gerichtsgefängnis in Hannover galt als besonders ausbruchssicher. (2)

Hier in Hannover sollte Ernst Thälmann noch einmal als "Schutzhaft"-Gefangener sechs Jahre in Einzelhaft verbringen, ohne jemals vor ein Gericht gestellt worden zu sein.

Als Thälmann unter schärfster Bewachung von Berlin nach Hannover überführt wurde, war im Gerichtsgefängnis bereits alles für seine Aufnahme vorbereitet worden.

Die für ihn vorgesehene Zelle mit der Nr. 516 lag im Westflügel des Gefängnisbaus. Oben und unten, rechts und links waren alle anderen Zellen geräumt worden.

Durch diese Anweisung der Berliner Gestapo sollte eine Kontaktaufnahme mit anderen Häftlingen unmöglich gemacht werden. (3)

Diese Isolierung setzte sich auch im Gefängnisalltag weiter fort: Gemeinsames Arbeiten mit anderen Haftlingen und der gemeinsame Rundgang blieben Thälmann verwehrt.

Vor diesem Hintergrund machte Thälmann die Tatsache eher mißtrauisch, daß er von seiner Frau und seiner Tochter teilweise unbeaufsichtigten Besuch empfangen durfte.

Es stellte sich dann auch bald heraus, daß die Gestapo Abhöranlagen installiert hatte und alle Gespräche damit überwacht wurden.

Rosa Thälmann, die Tochter, berichtet, wie es ihnen trotzdem gelang, der Bespitzelung entgegenzuwirken:

"... Die Nazis dachten, er würde uns ahnungslos wichtige geheime Dinge erzählen. Wir aber sprachen laut über belanglose Fragen und schrieben unterdessen alles, was Vater von der Partei wissen wollte und alles, was ich der Partei sagen sollte, auf die Tafel.

Das Geschriebene löschten wir gleich wieder aus, und ich versteckte beim Verlassen des Gefängnisses die Tafel." (4)

Thälmann wußte die Gelegenheit der unbeaufsichtigten Begegnung mit seinen Angehörigen auch noch anders auszunutzen. Er übergab ihnen Materialien, die dann an der Gestapo vorbei aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt werden konnten. (5)

Die Haftbedingungen in Hannover scheinen für Thälmann eine gewisse Verbesserung dargestellt zu haben. Er selbst schreibt über die erste Zeit im Gerichtsgefängnis:

"Im Gefängnis in Hannover hatte ich es sehr gut, Behandlung war tadellos, und Wesen, Art und Sprache der Menschen konnten mir als Hamburger Jung gefallen.

Trotzdem gab es auch hier einzelne Überraschungen. Zuerst Doppelbewachung, mit Karabinern umgehängt, in der Freistunde, und eine völlige Absperrung von allen Menschen, außer von dem jeweiligen Stationsbeamten und einzelnen Herren von der Verwaltung.

Auf Protest und nach Prüfung meines gestellten Antrages, diese Verschärfungen abzustellen, wurde die völlige Absperrung etwas gelockert, und nach kurzer Zeit fand die Freistunde mit einem Beamten und ohne Karabiner statt ..." (6)

Dennoch blieb gerade die dauernde Bespitzelung durch die Gestapo für den Gesundheitszustand von Thälmann nicht ohne Folgen.

1938 hatte sich die Situation dermaßen verschärft, daß der Celler Generalstaatsanwalt Schnöring an den Reichsjustizminister Gürtner schrieb:

"Sei Mißtrauen ist ins ungemessene gestiegen, und die Gefahr, daß er der Haftpsychose verfällt, erheblich vergrößert worden." (7)

Dr. Schnöring und auch der Direktor des Gerichtsgefängnisses, Suffenplan, setzten sich in dieser Zeit dafür ein, daß dem Gefangenen Hafterleichterungen zugestanden wurden.

Als Folge davon konnte Thälmann im Frühjahr 1939 zwei Zellen belegen, was seiner Bewegungsfreiheit erheblich zugute kam. Nachdem die Mauern zwischen den zwei Zellen durchbrochen worden waren, wurde eine dieser Zellen als Schlafraum und die andere als Aufenthaltsraum genutzt.

Für die Vergrößerung des Fensters in dieser Zelle war ebenfalls gesorgt worden.

Im Gegensatz zu der sonst üblichen kargen Möblierung erhielt Thälmann zusätzlich Tisch und Stühle und ein Regal für seine Bücher. Zeitweise hat er auch von der Erlaubnis Gebrauch gemacht, sich Essen aus Gaststätten kommen zu lassen. (8)

Diese Bedingungen ermöglichten es ihm, trotz der weiterhin aufrechterhaltenen Isolierung und der fortgesetzten Verhöre durch die Gestapo, immer noch publizistisch arbeiten zu können.

Während der ganzen Jahre, in denen Thälmann inhaftiert war, kam es immer wieder zu lokalen und internationalen Solidaritätsbekundungen und Appellen für seine Freilassung.

Die Gestapo Hannover berichtet beispielsweise mit Datum vom 05.11.1937 an die Gestapo Berlin von Briefen der KPD Frankreichs, die direkt an Thälmann im Gerichtsgefängnis Hannover adressiert waren. (9)

Vermutlich hat Thälmann von der einen oder anderen Aktion dieser Art Kenntnis erhalten. Für seine psychische Stabilität war dieses sicher von großer Bedeutung.

Mit dem hannoverschen Gefängnispersonal, dem Direktor und den Wachbeamten, kam Thälmann nach eigenen Bekunden im Laufe der Jahre zu einem guten Einvernehmen. Als zum Teil altgediente Beamte versuchten diese offensichtlich, dem "Stargefangenen" eine angemessene Behandlung zukommen zu lassen. (10)

Über das weitere Schicksal entschieden aber nicht in erster Linie die hannoverschen Justizbehörden und die Gefängnisverwaltung, sondern die Gestapo in Berlin, die in Sachen Thälmann zu jeder Zeit die Befehlsgewalt ausübte.

Auf ihre Anordnung ist es auch zurückzuführen, daß ein paar Monate nach der Verlegung Thälmanns nach Hannover Doppelposten vor der Gefängnismauer Streife gingen.

Obwohl man versuchte, den Aufenthaltsort des berühmten Gefangenen geheimzuhalten, rechnete die Gestapo anscheinend mit erneuten Befreiungsversuchen. Aus diesem Grunde verstärkte man wohl auch das Wachpersonal durch ein Sonderkommando der Gestapo.(11)

Aus den Kreisen der kommunistischen Widerstandsbewegung wurde auch tatsächlich eine Befreiungsaktion geplant: Genossen von Ernst Thälmann, Bernhard und Erna Almstadt, wurden beauftragt, sich über die Situation Thälmanns zu informieren und die Möglichkeiten für eine Befreiung auszukundschaften. Zusammen mit Anton Saefkow und Franz Jakob aus Berlin sollten im August 1943 Pläne ausgearbeitet werden.

Schließlich mußte man erfahren, daß, nachdem in Hannover die ersten schweren Bombenangriffe erfolgt waren, Ernst Thälmann am 11. August 1943 in das Zuchthaus Bautzen in Sachsen verlegt worden war. Zu groß erschien der Gestapo das Risiko, Thälmann könnte im Gewirr eines Bombenangriffs aus der Haft befreit werden. (12)

Am 18. August 1944 wurde Ernst Thälmann im KZ Buchenwald ermordet. Niemand sollte davon erfahren. So verbreitete das Hitler-Regime die Lüge, Ernst Thälmann wäre am 28. August 1944 bei einem Luftangriff alliierter Streitkräfte auf die Umgebung von Weimar ums Leben gekommen. (13)

(1) Ernst Thälmann - Eine Biographie, hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Frankfurt a.M. 1979, S. 626ff (2) Ernst Thälmann - Eine Biographie, hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Frankfurt a.M. 1979, S. 752 (3) Dieter Tasch, Lauschangriff auf einen geheimen Stargefangenen, in: HAZ vom 16.04.1986 (4) Ernst Thälmann - Eine Biographie, hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Frankfurt a.M. 1979, S. 753 (5) Ernst Thälmann - Eine Biographie, hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Frankfurt a.M. 1979, S. 753 (6) Gerda Zorn, Widerstand in Hannover, a.a.O. S. 175 (7) Dieter Tasch, Lauschangriff auf einen geheimen Stargefangenen, in: HAZ vom 16.04.1986 (8) Dieter Tasch, Lauschangriff auf einen geheimen Stargefangenen, in: HAZ vom 16.04.1986 (9) Mlynek, Gestapo Hannover meldet, a.a.O. (10) Gerda Zorn, Widerstand in Hannover, a.a.O. S. 175 (11) Gerda Zorn, Widerstand in Hannover, a.a.O. S. 176 (12) Gerda Zorn, Widerstand in Hannover, a.a.O. S. 177 (13) vgl. Völkischer Beobachter, norddt. Ausgabe (Berlin) 16.09.1944