TANZ, KABARETT UND AGITPROP

Erinnerungen an Gertrud Bosse

von Kurt Baumgarte

Beharrliche Zuarbeit, damit antifaschistische Organisationen erfolgreich arbeiten können - so würde ich aus meinem Erleben und Begegnungen mit ihr den harten Lebensweg der hannoverschen Antifaschistin Trude Einecke-Bosse charakterisieren.

Ich kannte sie aus der Zeit vor 1933. Nach 1945 gab es viele enge Kontakte politischer Zusammenarbeit und familiärer Berührungspunkte. Im Spätherbst 1980 verstarb sie in einem Seniorenheim in Achim bei Bremen. Noch kurz vorher hatten wir sie dort besucht. Trotz ihres hohen Alters, fast 85-jährig, war sie noch immer geistig rege und interessiert am aktuellen politischen Geschehen.

Trude Bosse war Diplom-Gymnastik-Lehrerin. Vor der Errichtung der faschistischen Diktatur, also in der Weimarer Zeit, führte sie seit 1924 zusammen mit Maxim Bosse, der Ballett-Tänzer war, eine Gymnastik- und Ballettschule in Hannover. Man mußte immer viele Treppen steigen, um in der Straße Lange Laube, in der Nähe der Goseriede, die Wohnung und die Räumlichkeiten ihrer Tätigkeit zu erreichen. Gemeinsam pflegten sie zahlreiche persönliche und politische Kontakte zu links eingestellten hannoverschen Künstlern, Schauspielern, Malern etc. Dabei war ihnen engagiertes und kämpferisches Debattieren eigen. Sie nahmen kein Blatt vor den Mund.

Trude und Maxim bildeten auch die hannoversche Kabarett- und Agitprop-Truppe "links ran" aus, die in den letzten Jahren der Weimarer Republik so erfolgreich lebendige, antifaschistische Aufklärungsarbeit leistete. Lieder, Theaterstücke, Kabarett gegen den Faschismus - ein Stück Arbeiterkultur.

Diesem vor 1933 sehr beliebten Arbeiterkabarett gehörten Mädchen und Jungen aus der Arbeiterbewegung an, die aufgrund ihrer politischen Einstellung und mit Begeisterung und Talent in den Veranstaltungen der KPD und befreundeten Organisationen auftraten und stets mit viel Applaus gefeiert wurden. Die Gruppe ging auch sonntags auf Landagitation.

Es sollte nicht in Vergessenheit geraten, daß Trude und Maxim Bosse jahrelang in dieser Zeit der "Marxistischen Arbeiterschule Hannover" die Möglichkeit gaben, in den Räumen ihrer Gymnastik- und Ballettschule in den Abendstunden ihre Kurse und Zusammenkünfte durchzuführen.

Nach Errichtung des Hitlerregimes im Jahre 1933 gab es tiefe Einschnitte im Leben Trude Bosses. Ihre selbständige Existenz als Gymnastiklehrerin wurde von der Nazipartei behindert und 1936 ganz unterbunden. Ihr Mann verlor Stellung und Einkommen als Ballett-Tänzer. Seine Verträge an Theatern wurden annulliert und er mußte beruflich umschalten. Maxim fand eine Existenz als Chemiker in den Sichel-Werken Hannover-Limmer.

Den wirtschaftlichen Pressalien folgte die terroristische Verfolgung durch Gestapo und faschistische Justiz. Bekanntlich wurden Trude und Maxim Bosse bei Massenverhaftungen antifaschistischer Widerstandskämpfer im Raum Hannover in die Massenprozesse gegen die "Sozialistische Front" einbezogen. Hausdurchsuchung, Verhaftung, Verurteilung folgten. Aber Haft und fortlaufende Belästigungen durch die Nazis konnten sie nicht beugen. Sie blieben immer was sie waren: konsequente Gegner von Faschismus und Krieg.

In den letzten Kriegsjahren und in der Zeit des Zusammenbruchs des Naziregimes bewohnten Trude und Maxim Bosse die Wohnung des obersten Stockwerkes in der Jacobsstraße 10 in Linden.

Daß dieses Haus im gewissen Sinne ein Stück hannnoverscher Nachkriegsgeschichte darstellt und dortiges Geschehen politisch bedeutsam und aussageträchtig ist, hat auch etwas mit diesen beiden Antifaschisten zu tun. Nachdem am 10. April 1945 amerikanische Truppen in Hannover einmarschiert waren und alle Faschistenführer das Weite gesucht hatten oder untergetaucht waren, bildete sich auch in Linden einer der insgesamt 19 antifaschistischen Wiederaufbau-Ausschüsse, in dem auch Maxim und Trude Bosse mitarbeiteten. Durch ihre Initiative dienten die Räumlichkeiten der Parterrewohnung, die bis dato als Luftschutzbüro fungierten, dem Wiederaufbauausschuss dieses Lindener Stadtteils.

Die kurze Dauer der Betätigungsmöglichkeiten der Wiederaufbauausschüsse - schon im Mai setzte massive Behinderung durch britische Besatzungsorgane ein, und am 1. Juni 1945 erfolgte das Verbot jeder Betätigung - brachte das Problem: Wie erfolgt die weitere Nutzung der Räume? Wünsche und Träume von Trude Bosse, dort ihre von den Nazis geschlossene Gymnastik- und Tanzschule wieder zu eröffnen, wurden durch "höhere Mächte" sofort illusorisch gemacht.

Hier wurde durch Protektion der britischen Besatzungsorgane jetzt das "Büro Dr. Kurt Schumacher" installiert. Also zu einer Zeit, als anderen antifaschistischen Gruppen und Parteien jede legale Betätigung unter Strafandrohung untersagt war. Schumacher, jener sozialdemokratische Führer, der das politische Konzept vertrat, daß jede Aktionsgemeinschaft von Sozialdemokraten und Kommunisten unterbunden und bekämpft werden muß, richtete hier seinen Arbeitsstab ein.

Im Hause Jacobsstraße 10 geschah aber noch etwas anderes. In der Wohnung Trude und Maxim Bosses im obersten Stockwerk wurde nicht nur im Familien- und Freundeskreis über die Lehren der antifaschistischen Widerstandsarbeit diskutiert, den Forderungen nach Zusammenarbeit aller antifaschistischen Kräfte und insbesondere der Kommunisten und Sozialdemokraten Nachdruck verliehen, sondern auch, trotz aller Behinderungen durch die Briten, organisatorische Arbeit geleistet.

Nachdem ich nach über zehnjähriger Inhaftierung in nazistischen Konzentrationslagern und Zuchthäusern nach Hannover zurückgekehrt war, hatten mir im Juli 1945 Trude und Maxim Bosse in ihrer Wohnung Unterkunft und politische Arbeitsmöglichkeiten gewährt. Praktisch bedeutete das, daß wir hier das erste inoffizielle Bezirksleitungsbüro der KPD Niedersachsen etablierten, wobei Trude Bosse viel Büroarbeit leistete, Manuskripte und Briefe schrieb. Das dauerte an, bis wir 1946 die ersten legalen Parteibüros in der Rosenstraße und Hallerstraße einrichten konnten.

In der Folge war die Wohnung Trude und Maxim Bosses Arbeitsraum für die Freie Deutsche Jugend, für den demokratischen Kulturbund Hannover und andere antifaschistisch-demokratische Kräfte Hannovers.

Vor allem im Kulturbund Hannover, dessen Mitgliederkartei Trude führte und dessen laufende Schreibarbeiten sie tätigte, war sie bis zu dessen Verbot durch die Adenauer-Regierung immer aktiv.

Auch in der demokratischen Frauenorganisation Hannovers und der Frauenfriedensbewegung wirkte sie mit. Vielfältig waren ihre politischen und kulturellen Interessenfelder. Auch sei daran erinnert, daß Trude außer der vielfältigen persönlichen Korrespondenz mit Aktivistinnen der Frauenfriedensbewegung in ganz Deutschland, gemeinsam mit ihrem Mann Maxim ein interessantes Kinderbuch erarbeitete und gestaltete, welches zur Drucklegung kam.

Im Gedenken an das Wirken von Trude Einecke-Bosse möchte ich abschließend wiederholen: Sie war eine Frau, die ihr reiches Wissen und künstlerisches Können immer in den Dienst der großen gemeinsamen Sache des antifaschistischen Kampfes und des Friedens gestellt hat. Wir sollten sie auch bei unserer Jugend in Erinnerung behalten.

Kurt Baumgarte, Hannover

Februar 1982